4600km – 42 Tage unterwegs – Ankunft am Nordkap

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Blog 5,  02. Juli 2016,

Die Nächte werden zu meinem Tag, der Tag zu meinen Nächten. Auf den letzten 600, der insgesamt 4600 Kilometern von der Schweiz bis zum Nordkap, lebe ich auf meinem Fahrrad völlig azyklisch. Nördlich von Tromsö, einer Stadt im hohen Norden Norwegens, führt nur noch eine Strasse bis zum Nordkap, die E6. Auf dieser rollen die vielen Trucks, Wohnmobile, Motorräder und Reisebusse, von denen ich, in der Nacht radelnd, jedoch verschont bleibe.

Wie anders doch die Welt in der Nacht ist, obwohl es im Sommer, nördlich des Polarkreises, zwischen Ende Mai bis Mitte Juli gar keine Nächte gibt. Die Sonne reist, in einem elliptisch scheinenden Kreis, einmal um einen herum. Tag und Nacht. Der Mensch hat trotzdem seinen Rhythmus, mit dem ich aber nicht mitgehe. Die Stille der Polarnacht, wenn die Menschen schlafen, macht die Tiere ruhig. Ich beobachte Rentiere, wie sie aus ihren Verstecken kommen und im satten Grün weiden. Vögel, die auf der Suche nach Nahrung sind um ihre Brut zu füttern. Elche, die gut getarnt hinter einem Baum hervorlugen. Und zum Meer hin sehe ich Robben, die sich, mit der Schnauze aus dem Wasser ragend, wie kleine U-Boote durch die ruhige Wasseroberfläche pflügen, was die Möven nervös aufschrecken lässt.

Die letzte Strecke von 150 Kilometern vor dem Nordkap starte ich genau um Mitternacht. Meine Beine sind müde, sehr müde, sie schmerzen, habe ich doch in den letzten zwei Wochen jeden Tag mindestens 10 Stunden im Sattel gesessen, manchmal wurden es vierzehn. Bei Regen, Wind und Sturm und auch bei kurzen, sonnigen Phasen. Doch das Durchhalten scheint heute sogar die Natur zu belohnen: Die Winde haben von Nord auf Süd gedreht und bescheren mir heute einen unglaublich warmen und sonnigen Tag mit Rückenwind. Ein Geschenk des Himmels.

Nach 42 Tagen und mehr als 4600 gefahrenen Kilometern auf meinem Tourenvelo mit 35 Kilogramm Gepäck, erreiche ich das Nordkap. Es ist das Ziel meiner ersten Etappe zum Nordpol. Es ist ein schöner Moment. Ich atme die klare Luft ein. Rieche das Aroma des Meeres und den herben Duft der wilden, kargen Gras-Landschaft. Ich geniesse das Ankommen. Und gleichzeitig merke ich, wie ich mich an die Einfachheit des Unterwegsseins, an den Rhythmus, an das monotone stunden-, tage- und wochenlange Treten auf dem Fahrrad gewöhnt habe. Ich freute mich wochenlang auf das Ziel und am Schluss will ich irgendwie gar nicht ankommen. Das ist mir nicht fremd. Mit jedem Ziel, das ich mir in den Kopf gesetzt hatte und welches ich unbedingt erreichen wollte, ging ich vorher mehrere Monate, manchmal auch jahrelang schwanger. Bevor ich das Ziel von der Idee in seine Realitäts- und Umsetzungsphase führe, ist es ein wichtiger, langer Planungs- und Identifizierungsprozess. Habe ich mich einmal zu 100% für das Ziel commited, bin gut darin, nein, bin ich extrem gut darin, mich auf diese eine und einzige Sache voll zu konzentrieren, mich dieser einen und einzigen Aufgabe ganz hinzugeben. Das Erreichen des Nordkaps mit dem Tourenvelo ist zwar «nur» ein Zwischenziel auf dem Weg zum Nordpol. Aber, als eine von den anderen Etappen sich abgrenzende Disziplin, doch ein in sich eigenständiges Unternehmen. Jetzt bin ich da, an diesem Etappenziel. Das Ankommen bedeutet gleichzeitig auch das Loslassen. Ja, ich brauche mich nicht mehr darüber zu sorgen, ob mein Zelt trocknen und ich abends in einen trockenen Schlafsack kriechen kann. Es braucht mich auch nicht mehr zu kümmern, ob ich genügend zu Essen bei mir habe, damit ich den Hunger stillen kann. Und jetzt braucht es mich auch nicht mehr zu belasten, ob sich die Entzündung an meinen Fussballen verschlimmern wird. Ich bin da. Am Ziel meiner ersten Etappe. Und eben, gleichzeitig sind die Leitplanken weg, welche mir dieses Ziel vorgegeben hat und nach welchem sich mein ganzer Alltag in den letzten Monaten gerichtet hatte. Ich bin nicht nur angekommen, sondern jetzt muss ich selber auch noch ankommen. Im Moment geniesse ich einfach den Augenblick. Das Ankommen. Und dann, aber erst morgen, wenn ich die Nacht ganz alleine, unweit vom Nordkap an einem kleinen See verbracht haben werde, werde dieses Zwischenziel loslassen. Es ist getan. Geschafft.

  • Etappe 1: Fahrradstrecke von der Schweiz bis ans Nordkap 4500km von Mai bis Juli 2016
  • Etappe 2: Zu Fuss Durchquerung des grönländischen Inlandeises 600km auf Ski von Aug. bis Sept. 16
  • Etappe 3: Zu Fuss Durchquerung Spitzbergen 200-400km auf Ski im März 2017
  • Etappe 4: Zu Fuss von russischer Eisstation bis Nordpol und zurück 200-400 km im April 2017