«90° North – 100% Commitment» Letzte Etappe zum Nordpol

Veröffentlicht vor 2806 Tagen

Nach Etappe 1 von rund 5000 Kilometern auf dem Fahrrad zum Nordkap und nach Etappe 2 von mehr als 550 Kilometern auf Skiern durch das Inlandeis von Grönland und einem Rückzug auf Spitzbergen wegen miserablen Wetterbedingungen und Schneeverhältnissen auf Etappe 3, steht nun also die 4. und letzte Etappe an, der Gang zum eigentlichen Ziel, meinem «dritten Pol», nach Everest und Südpol, jetzt der Nordpol.

Ich bin zurück auf Spitzbergen, von wo ich am 5. April mit der russischen Antonov nach Barneo, der Russischen Eisstation im Nordpolarmeer weiterreise, bevor es auf Skiern, voraussichtlich im Team, auf dem gefrorenen Nordpolarmeer, zu diesem magischen Punkt, 90° Nord, dem Nordpol weitergeht. Spitzbergen, wo ich noch drei Tage zur Vorbereitung brauche, zeigt sich in einem ganz anderen Licht als noch vor einem Monat. Anstatt Schneestürme, White-Out und Dämmerung von morgens bis abends (ausser dem wiederkehrenden Sonnenlicht, beginnend mit gerade mal knapp zwei Minuten ab 8. März) sind auch die Nächte inzwischen im gestreckten Galopp zurückgewichen und dauern nur noch ein paar Stunden. In einer Woche wird es gar nicht mehr dunkel werden und wenn ich am Nordpol ankommen werde, wird die Sonne innerhalb von 24 Stunden einen wunderbaren Kreis im Uhrzeigersinn von Ost nach West ins Himmelsgewölbe zeichnen, um frühmorgens wieder im Osten zu stehen.

Spitzbergen zeigt sich jetzt aber auch in einem anderen Thema von einem ganz anderen Licht: Touristen. Viele Touristen sind nach Longyearbyen gekommen und alle wollen sie sich den Traum der Arktis erfüllen. Sie fahren in Gruppen, aber jeder für sich, mit bis zu 20 Schneemobilen an die Ostküste von Spitzbergen, um dort, von Guides begleitet, eventuell einen Eisbären sehen zu können. So fahren an einem Sonntag zwischen 30 – 40 Gruppen, im Schnitt also über 600 Schneemobile in die tiefe Arktis hinein, ein Tagesabenteuer, um abends wieder im geschützten und warmen Hotel zurück zu sein. Auch ich bin Touristin in der Arktis, obwohl ich mehrheitlich zu Fuss und mit dem Zelt unterwegs bin. Aber die Entwicklung des Tourismus wirft natürlich auch bei mir Fragen auf.

Sanfter Tourismus, «Ja» und da gibt es zahlreiche Beispiele wie sanfter Tourismus gut funktioniert und die Umwelt nicht belastet. So bietet, nur um ein schönes Beispiel zu nennen, das Dorf Innertkirchen-Gadmen, in meiner Wahlheimat, Vollmond- und Neumond-Wanderungen an. Während bei Vollmond das Licht für sich spricht, sprechen bei Neumond, bei klarer Sicht, die Sterne für sich und die Menschen wandern nachts durch diese Schönheit der Natur. Der Mensch wird, durch die Schönheit des Momentes liebevoll in der Seele berührt, für einmal ganz still.

Ich weiss, zwischen Spitzbergen und dem Dorf Gadmen, welches abgeschieden am Fuss des Susten-Passes nur ein paar Dutzend Einwohner zählt, liegen Flugstunden Distanz. Und trotzdem erwähne ich diese zwei Orte im gleichen Text. Nein, «nur» von von Vollmond- und Neumondwanderungen kann man keinen Lebensunterhalt verdienen. Aber es geht hier um zwei verschiedene Grundprinzipien von Tourismus. Im einen Prinzip, in der Gesinnung von sanftem Tourismus, liegt der Antrieb in der Liebe zur Natur, in der Freude an der Schönheit, der Liebe zum Ort und zur Umwelt, was weitervermittelt und geteilt werden will.

Im anderen Prinzip, liegt der Antrieb im Profit zugrunde, wo die Natur Mittel zum Zweck und somit zum Konsumgut wird und auf Massentourismus aus ist. Mich erschreckt die Entwicklung des Massentourismus, auch in sogenannt «abgeschiedenen Orten». Nicht nur in der Arktis, auch im Himalaja des Mount Everest, wo ich, nicht nur im Zusammenhang mit Bergsteigen, sondern auch eingebunden für die Unterstützung der Erdbebenopfer von 2015, unzählige Male unterwegs war. Die flach am Horizont wandernde Sonne in der Arktis wirft lange Schatten. Und bei jeder Reise, bei jeder Expedition frage ich mich, welche Schatten denn mein eigenes Tun wirft? Auf die Flüge bin ich nicht stolz. Aber ich freue mich immer, wenn ich aus eigener Muskelkraft unterwegs sein kann. Zuhause auf Skitouren im Gebirge, kletternd an senkrechten Felsen und nur auf meine Fussspitzen und Fingerkuppen vertrauend, zu Fuss über alle Berge und Gletscher als Berufsbergführerin unterwegs oder auf dem Fahrrad von A nach B. In einem Mix von allem durfte ich bis auf die Spitze des Mount Everest klettern, in 484 Tagen von der Schweiz bis an den Südpol gelangen und jetzt, unterwegs für die Verwirklichung meines Traumes der «drei Pole», das Zelt, den Kocher und das Nötigste im Zugschlitten verpackt und beschwerlich zu Fuss auf Skiern hinter mich herziehend, dem 90. Grad Nord entgegen, meinem dritten Pol, dem Nordpol.