Direkthilfe Erdbeben Nepal

Veröffentlicht vor 3445 Tagen
Es war nicht das Erdbeben, das ursprünglich mein Hilfs-Versprechen an die Menschen in Nepal auslöste. Das Versprechen war früher da. Viel früher. Um genau zu sein, vor 16 Jahren.

Das Versprechen

Im Jahr 1999 (die erfolgreiche Life-Übertragung unserer Eiger Nordwand-Durchsteigung im Fernsehen muss selbst die Asiaten beeindruckt haben) wurde ich von PATA (Pacific Asian Tourist Assoziation) für Gründe der Tourismusförderung nach Pokhara (Nepal) eingeladen.

Damit ich vor den Meetings meine körperliche Über-Energie abbauen konnte, absolvierte ich jeden frühen Morgen ein Lauftraining auf die umliegenden «Vorhügel» der dahinterliegenden 7000er. An meinem einzig freien Tag entschloss ich mich, ein ausgedehnteres Lauftraining auf dem Annapurna-Trail in Richtung des gleichnamigen 8000er-Basislagers zu absolvieren. Auf dem Rückweg begegnete ich einem etwa fünfjährigen Mädchen, dessen Vater es geschickt haben muss, um nach Geld zu betteln. Das verängstigte Kind bat mich unter Tränen in den Augen um Geld. Ich trug aber kein Geld auf mir und selbst wenn ich ein paar Rupien mitgenommen hätte, wäre es mir unmöglich gewesen, dem Schicksal des Mädchens eine Wende geben zu können. Die Hinduisten glauben, dass das Karma des vorhergegangenen Lebens bestimmt, ob man als armer oder als reicher Mensch wiedergeboren wird. Und das Verbot, die Kasten zu durchmischen (Arme zu den Armen, Reiche zu den Reichen) verhindert es grundsätzlich den armen Menschen im Land, sich wie Phoenix aus der Asche zu erheben und sich mittels Fleiss und Disziplin zu einem besseren Leben durchzukämpfen. Arm-Sein ist, nach hinduistischem Glauben, selbstverschuldet.

Das Mädchen sah mich mit seinen fast schwarzen, mandelförmigen grossen Augen flehend an und ich konnte ihm nicht helfen. In diesem Moment zerbrach etwas in meinem Herzen. Vermutlich zerbarst in mir die Idylle, mit welcher ich dieses Land bis anhin betrachtet hatte. Das Mädchen. Seine Unschuld. Die Armut. Das Flehen. Die Angst. Das Wissen darüber, dass dieses Kind bereits erfahren hat, was es noch gar nicht wissen dürfte, nämlich, dass die Welt ungerecht ist.

Ich kniete mich zum Mädchen hinunter und versprach ihm, obwohl es meine Sprache nicht verstehen und ich seine nicht sprechen konnte, ich versprach, dass ich den Menschen in seinem Land helfen würde. Ich war voller Ernsthaftigkeit, voller Gewissheit. Es war mein Versprechen an das Kind.

Kaum war ich zuhause, hatte ich zwar die Begegnung mit dem Kind nicht vergessen, aber mein Versprechen löste sich bald von meiner Zunge wie ein Post-it-Kleber vom Notizblock. Wie die allermeisten (Profi)-Alpinisten jagte ich den Leistungen hinterher, war bald mehrere Male in Nepal und Pakistan, im Himalaja und im Karakorum auf den hohen Bergen, und wenn eine Reise mal nicht allzu hoch hinausgehen sollte, in den Anden und in Patagonien.

Das Erdbeben

Am 25. April 2015, ich war unterwegs in meinem Auto auf einer Schweizer Autobahn und eilte von einem Referat, das ich gerade abgehalten hatte zu einem nächsten Termin, als ich im Radio die Meldung über das Erdbeben in Nepal hörte. Ich erschrak, wusste nicht, wie mir geschah und verpasste zwei Autobahn-Ausfahrten zu meinem Zielort, bis ich wieder einigermassen zu Sinnen kam und klarer denken konnte. Das Erdbeben hatte nicht «nur» Kathmandu und seine Umgebung, sondern auch mich in meinem Herzen erschüttert, rund 9000 Kilometer vom Epizentrum entfernt.

Ich dachte an meine Freunde, die Sherpas, die ich inzwischen kennen und schätzen lernen durfte. Ich bangte um sie, bis ich ein paar Tage später von allen Freunden wusste, dass sie unverletzt waren.

Und dann war sie auf einmal wieder da, die Erinnerung an mein Versprechen vor 16 Jahren. Ich sah das kleine, verängstigte Mädchen vor meinem geistigen Auge, in diesem kleinen Dorf, bettelnd nach Geld, irgendwo auf dem Annapurna-Weg, der zum Basislager des 8000ers führt.

Wenn ich nun also mit meinem eigenen und dem Geld der herzlichen Spender von «Direkthilfe Erdbeben Nepal» nach Kathmandu reise, ist dies keine «Heldentat». Es ist auch keine Leistung. Es ist lediglich das Einlösen eines Versprechens, welches ich 16 Jahre versäumt habe.

Im Namen des unbekannten Mädchens mit den grossen braunen Augen, gehen die Spenden zu einem Teil an die Waisenkinder in Nepal. An Kinder, die wegen des Erdbebens zu Waisen wurden, und an Kinder, deren Eltern unter dem Joch der Armut keine andere Lösung fanden, als ihr Kind im Waisenhaus abzugeben.

Ich danke allen Spendern für das mir entgegengebrachte Vertrauen.

  • Ich danke meiner Schwester, die sich während ihrer Ferien und meiner Abwesenheit um unsere vor vier Wochen verunfallte Mutter kümmert.
  • Ich danke Yangjee Sherpa für ihr Vertrauen, dass ich Unterstützung bringen werde und die mich im Gegenzug nun in Kathmandu als Dolmetscherin begleiten will.
  • Ich danke Christian Zimmermann von Global AV-Produktionen, der sich als Fotograf bereit erklärt hat mich für Dokumentationszwecke nach Nepal zu begleiten und ich danke Helene Tinkler für ihren Support.
  • Ich danke Kathrin Imobersteg für die selbstgestrickten Bébé-Pullöverchen für die Waisenkinder.
  • Ich danke Judith Kurmann und Christoph Mattes von bleifrei event, die im Hintergrund meine Homepage aktualisieren und die Geschichten und Bilder auf- und freischalten.

Vielen Dank allen, die diese Mission geistig und materiell unterstützen.

Ich melde mich.

Herzlich Evelyne