Vorbereitungen Nordpol und eine weitere Hilfsaktion im Himalaja

Veröffentlicht vor 3170 Tagen

Eigentlich bleibt wegen den Vorbereitungen auf meine Nordpol-Expedition (90° North – 100% Commitment) keine Zeit, kurz vor dem Start der ersten Etappe (21. Mai 2016) nochmals nach Nepal aufzubrechen um dort abermals eine Hilfsarbeit zu leisten. Aber es fühlt sich nicht richtig an, in den Tälern des Himalajas die Hilfsaktion hinter mein Nordpol-Projekt zu schieben, denn es geht um das Wohl von Menschen und diese haben zurzeit Vorrang.

Zum dritten Mal also innerhalb von acht Monaten reise ich in das Land der höchsten Berge um abermals nicht auf stolze Gipfel zu steigen, sondern den Menschen, die an deren Füssen ein entbehrungsreiches Leben führen, die mir anvertraute Spendenunterstützung zu bringen.

Sicher, von diesen Reisen bringe ich schöne Fotografien mit Gesichtern die lächeln zurück, Bilder von intakter, grandioser Natur und unvergesslichen Momentaufnahmen in der Gemeinschaft von einheimischen Menschen. Aber gleichzeitig sind diese Einsätze für mich sehr kräftezehrend. Inzwischen, das darf ich erwähnen, habe ich während den letzten drei Einsätzen in Nepal mehrere hundert Kilometer und abertausende Höhenmeter zu Fuss zurückgelegt, um in die abgelegenen Bergdörfer zu gelangen, welche Unterstützung von aussen benötigen und durch die «Direkthilfe Erdbeben Nepal» auch bekommen. Dieses Mal marschiere ich alleine und bin trotzdem bereits vom zweiten Tag an begleitet: Eine Lebensmittelvergiftung frisst mir innerhalb von vier Tagen vier Kilo Körpergewicht weg. Trotzdem laufe ich täglich 6 – 8 Stunden. Diese Märsche fühlen sich bei dieser Verfassung wie eine Ewigkeit an.

In den kleinen Dörfern werde ich jeweils von einer auserwählten Dorfperson zu den verschiedenen Familien geführt, die in ihren Hütten hausen. Bei jeder Familie wird der Schaden individuell erfasst, der durch das Erdbeben vom letzten Jahr entstanden ist. Das Geld für den Wiederaufbau und die Reparaturen werden von Hand zu Hand überreicht. Es ist das direkteste und einfachste Prinzip, Unterstützung zu leisten. Trotz Magenschmerzen, Erbrechen und Durchfall marschiere ich (in cognito) zusätzlich alle Dörfer ab, die bereits im letzten Jahr Unterstützung bekommen haben und kontrolliere, ob die Arbeiten vollbracht wurden. Alle Häuser, die von «Direkthilfe Erdbeben Nepal» Hilfe bekamen, wurden in tadellosen Zustand gebracht. Ich freue mich und gehe meinen Weg weiter ohne mich erkennbar zu machen. Es bleibt mir wenig Zeit, ich fühle mich ausgelaugt und schwach. Würde man mich in den Dörfern erkennen, würde ich in mindestens 10 Häuser pro Dorf eingeladen, um Tee zu trinken. Ich habe aber eine Lebensmittelvergiftung weil ich Tee getrunken und vermutlich verdorbenes, gut gewürztes Gemüse gegessen habe. Man merkt es erst, wenn es schon zu spät ist. Es beginnt mit einem flauen Gefühl im Magen, dann Schmerzen, dann Krämpfe, dann Schüttelfrost, dann Erbrechen gefolgt von Durchfall und Schwäche. Ich mache das «volle Programm» durch.

Trotzdem kehre ich nicht nach Hause zurück sondern verfolge nach getaner Arbeit eine private Motivation. Sie heisst Lhamu Chutin und liegt noch einen zusätzlichen Tagesmarsch entfernt. Ich habe das 13-jährige Mädchen im Rahmen der «Direkthilfe Erdbeben Nepal» im Oktober 2015 im Dorf Thame kennengelernt. Es fiel mir durch seinen Wissensdurst und sein offenes und hilfsbereites Wesen auf. Die Zukunft von Lhamu ist vorhersehbar: Sie lernt zwar in der Dorfschule lesen und schreiben und gehört somit nicht zu den 45% Analphabeten in Nepal. Aber sie würde später als Frau auf dem Feld arbeiten, Kartoffeln und anderes Gemüse pflanzen, einen Mann aus unmittelbarer Nähe heiraten, Kinder bekommen und mehr schlecht als recht über die Runden kommen. Sie würde ihre eigenen Kinder auffordern wie sie es selbst als Kind von ihrer Mutter aufgetragen bekommen hatte: Yakmist zu sammeln, damit sie den einzigen Ofen im Haus befeuern kann um sich und die ganze Familie daran ein bisschen zu wärmen.

Ich habe dem Vater und der Mutter des Mädchens offeriert, dass ihre Tochter nach Kathmandu in der Hauptstadt von Nepal eine Privatschule, ein Internat besucht damit sie die Voraussetzungen erwirbt, studieren zu können. Ich würde mich finanziell um den schulischen Weg von Lhamu Chutin kümmern, erkläre ich. Der Vater bespricht dieses Angebot sogleich mit seiner Tochter. Lhamu Chutin vollführt Freudensprünge, fliegt mir um den Hals und der Vater und die Mutter schenken mir das bereiteste Lächeln, das ich von meinen eigenen Eltern her kenne, wenn sie stolz auf mich waren.

Lhamu Chutin wird bereits ab diesem Mai in Kathmandu in ein privates Internat gehen. Sie wird zusätzlich in Englisch und Deutsch gefördert. Ihre Zukunft bekommt einen völlig neuen Ausgangspunkt mit vielen Optionen und Möglichkeiten. Natürlich habe ich mich gefragt, warum ich das tue, denn es kostet mich persönlich viel Geld über mehrere Jahre, das ich mir selber absparen muss. Die Antwort ist: Ich weiss es nicht. Ich fühle nur, dass es richtig ist. Aus der Vogelperspektive die Not auf der Welt betrachtend ist es trotzdem nur ein Tropfen auf einen heissen Stein. Aber immerhin…

Eure Evelyne