Eine wertvolle Erfahrung – und eine Geduldsprobe

Veröffentlicht vor 3024 Tagen

Grönlandquerung auf der Nansen Route

23 Tage, 23 Nächte, minus 30 Grad und minus 45 Grad Celsius mit Windchill, 450km Luft- und 600km Wegstrecke über´s Grönlandeis. So lässt sich meine Grönland-Inlandeis-Durchquerung in Kürze beschreiben.

Doch das Ziel hinter der Durchquerung des Eispanzers, der einen über 2800 Meter Höhe drängte, war weniger eine Route zu begehen, auf die nur eine Handvoll Menschen je einen Fuss gesetzt hatte, sondern diente vielmehr zur Vorbereitung meiner Nordpol-Solo-Expedition im nächsten Frühjahr. Ich wollte von Bengt Rotmo (im Teamfoto links von mir liegend ) einem norwegischen Polar-Expeditions-Experten und einer der Besten in seinem Feld, über die Schultern schauen und von ihm die Kniffs und Tricks kennenlernen, die mir am Nordpol zugutekommen werden. Natürlich schützt sich jeder anders vor Kälte und Sturm, vor Wind, Wetter und vor Nässe. Und mit meinen vielen Expeditionen zu den höchsten Bergen der Welt im Himalaja und meiner „full length unsupported and unresupplied“ Süd-Pol-Expedition vor neun Jahren, bin ich auch in polaren Regionen nicht unbedarft. Aber Handgriffe müssen in der Kälte sitzen, deswegen sprang ich in Bengt´s Team für die Nansen-Route durch Grönland.

Allerdings bereute ich diesen Entscheid bereits in den ersten Minuten, als ich die Teilnehmer sah. Davon ausgehend, wir seien ein absolut schnelles Team, entmutigte mich die erste Bekanntschaft. Steffen ist eine deutsche, fast zwei Meter lange, Fahnenstange und im kosmetischen Bereich berufstätig. Er spricht in der Schnelle, wie ein Maschinengewehr Schüsse abfeuert. Ursula, eine Schweizerin in Island lebend, hat wie Steffen ein zwar sehr aufgewecktes Wesen, aber ich beurteilte sie knallhart vom ersten Moment weg als den Bremsschuh. Und Max, der Sohn von Norwegens bekanntestem Polarexplorer Børge Ousland, ist mit 28 Jahren noch Student in Kunst. Wie soll ein Bleistift- und Pinselhalter auf dem Eis durchhalten? Das sah in meinen Augen nicht sehr vielversprechend aus.

Und tatsächlich: Während ich auf der Expedition durch Grönland Gas geben wollte (Gas geben ist meine Natur) bremste der Rest der Gruppe. So sehr, dass ich nach drei Tagen in der riesigen Freiheit des endlos scheinenden und horizontlosen Grönlands das Gefühl bekam, total in einem Käfig eingesperrt zu sein. Das langsame Schneckentempo gehört so nicht zu meiner Natur, dass ich die einzige Lösung darin sah, mein Zelt zu packen und die Gruppe zu verlassen, mein eigenes Ding durchzuziehen. Aber ich wusste, damit würde ich Bengt in riesige Schwierigkeiten bringen. Grönland, so frei es scheint, hat starre Vorstellungen, was Expeditionen anbelangen. Und Bengt ungut zu tun, das wollte ich wirklich nicht.
Um vor Langsamkeit nicht in Schlaf zu fallen, begann ich, meine eigene Spur durch den Schnee zu ziehen. Das gab mehr Widerstand auf die zwei Schlitten, die ich und jeder hinter sich her zog. Aber nach fünf Tagen wollte Bengt, dass wir im Gänsemarsch hintereinander herlaufen. Jeder in der Spur des Anderen. Ich bot Ursula vergeblich meine Hilfe an, von ihren Schlitten Gewicht auf meine Schlitten zu packen, das hätte ihre Schwäche und meine Stärke etwas ausgeglichen. Aber das wollte Ursula partout nicht und zwang der Gruppe ihr Tempo in sehr verstecktem Egoismus auf. Nach sieben Tagen allerdings waren ihre Muskeln leer. Wir gingen noch langsamer. Ich drehte fast durch.

Bei einer Pause schob ich Bengt, der für seine Kunden verantwortlich war, einen Zettel in die Finger und sagte: „Feel free to read it“ und auf welchen ich folgende Worte gekritzelt hatte: „If you are not able to connect my power to the use for the team, I´m forced to use my power for the useless“ – wenn du nicht fähig bist, meine Kraft zum Vorteil für das Team einzusetzen, dann muss ich meine Kraft fürs Nutzlose vergeuden“. Damit meinte ich, dass ich zukünftig neben der Spur gehen würde, um mein natürliches Tempo wenigstens ein bisschen abbremsen zu können. Endlich verstand Bengt auch meine Situation. Er kam auf mich zu und fragte mich nach Lösungsvorschlägen. Ich sagte Bengt, dass ich seine Erfahrung sehr schätze und viel Respekt für seine Leistungen habe. Aber wenn er mir das Glitzern der Augen nicht definitiv löschen wolle, er dringende Anpassungen im Team machen müsse. Ich erzählte ihm von meinen erfolglosen Versuchen, von Ursula´s Schlitten Gewicht abzunehmen, um für die Gruppe ein einigermassen ausgeglichenes Tempo zu generieren. Es liege an ihm. Denn Ursula (das hat sich nur zwei Tage später bestätigt) würde selbst dieses (für mich) langsame Schneckentempo nicht durchhalten, wenn sie nicht einsichtig werde. Nach zwei Tagen waren „Reformen“ notwendig, Ursula gab Gewicht von ihrem Schlitten ab.

Das war der Beginn der Wende. Nach langen zwei Wochen fanden wir als Team einen Weg, uns gegenseitig in seinen Stärken und Schwächen zu unterstützen. By the way: Obwohl Ursula für meine Natur sehr langsam unterwegs ist, ist sie, auf ihre Art, sehr ausdauernd und mental sehr stark. Viele andere hätten in ihrer Situation resigniert. Das rechne ich ihr hoch an. Aber auch Steffen und ich haben unsere anfängliche, gegenseitige Antipathie Schale um Schale ablegen können und haben gelernt, uns so zu nehmen, wie wir sind. Und Max, den Künstler und Träumer, habe ich sowieso in mein Herz geschlossen.

Von nun an navigierte und spurte ich sehr viel. Was im Whiteout (ohne Sicht und im Schneetreiben) harte Arbeit bedeutet, auch konzentrationsmässig. Bengt überliess mir auch die Führung durch das grosse Gletscherspaltengebiet, das uns zwei Tage lang den Weiterweg zu versperren schien. Ein mühseliges Zickzack um gähnende, tiefschwarze Spalten, ein Labyrinth, aus dem wir herauskommen mussten. Das Team vertraute voll und ganz und das schweisste noch mehr zusammen. Bengt sagte plump und in „Wikingersprache“, als ich fragte, wie er wolle dass ich durch die Gletscherspalten führe, „you do how you do“ (du führst auf deine Weise) und fügte an, „never teach your father how to fuck“. Das war seine wohlwollende Art zu sagen, dass er mir voll und ganz die Führung übergab und mir vertraute. Bengt übernahm nach zwei Tagen wieder den Lead und führte noch weitere eineinhalb Tage durch aufgeworfenes Gletschergelände bis zum Ziel, dem festen Boden unter den Füssen. Felsen, nach gut drei Wochen endlos scheinendem Eis.

Nach zirka 600 Kilometer Lauf- und 450 Kilometer Luftdistanz erreichten wir nach 23 Tagen und Nächten bei bis zu minus 30 Grad Celsius das Ziel, oder besser gesagt, mein Ziel. Während die Gruppe noch drei Tage das Angsmandalen-Tal hinaustrekkt, ist für mich Ende. Ich muss zurück, die Arbeit ruft. So flog ich beim Heli-Pick-up mit zirka 200 Kilo Gruppenmaterial (Schlitten und Eisausrüstung) mit dem Heli raus, während sich der Rest des Teams in ca. 30 Kilometer Distanz im Fjord vom Motorboot abholen lässt.
Ja, die Grönland-Durchquerung war eine gute Vorbereitung für den Nordpol. Damit meine ich den „modus operandi“, das erneute Angewöhnen an klimatisch schwierige, kalte Bedingungen. Und natürlich ist es ein gutes Gefühl, auf einer Route durch Grönland gegangen zu sein, auf der seit sechs Jahren kein Mensch mehr einen Fuss gesetzt hatte und seit bald hundertvierzig Jahren, insgesamt nur eine Handvoll Menschen gegangen sind. Aber noch mehr waren für mich die 23 Tage und 23 Nächte in eisiger grönländischer Kälte ein weiterer Beweis, dass auch aus den schwierigsten Team-Voraussetzungen ein starkes Team gebildet werden kann, das sich zusammenfindet. Ein Team, bestehend aus lauter Egozentrikern, lernt, den anderen anzunehmen, wie er ist und mit der Zurückstellung des eigenen Egos, das Zugehen auf den Anderen möglich wird. Das war die eigentliche Meisterleistung in der unendlich scheinenden Weite des Herzen Grönlands.
Danke Bengt, Max, Steffen und Ursula! Und vielen Dank für die lieben Gedanken meiner Leserinnen und Leser.

  • Etappe 1: Fahrradstrecke von der Schweiz bis ans Nordkap 4500km von Mai bis Juli 2016
  • Etappe 2: Zu Fuss Durchquerung des grönländischen Inlandeises 600km auf Ski von Aug. bis Sept. 16
  • Etappe 3: Zu Fuss Durchquerung Spitzbergen 200-400km auf Ski im März 2017
  • Etappe 4: Zu Fuss von russischer Eisstation bis Nordpol und zurück 200-400 km im April 2017