Während fast vier Jahren ging ich mit meiner Idee zu Bett und wachte morgens mit ihr wieder auf:
Den Südpol zu erreichen, nicht irgendwie, sondern aus eigener Muskelkraft. Von vor meiner Haustür im Berner Oberland, zuerst mit dem Fahrrad immer gegen Süden zu, über den Äquator hinaus, immer weiter, bis es mit dem Fahrrad in Chile nicht mehr weitergeht, dann mit den Skiern und einem schweren Schlitten, einer Pulka, noch südlicher, bis es auch so südlicher einfach nicht mehr geht.
Zum Südpol.
Der Südpol in der Antarktis ist definitiv das am weitest entfernte Ziel, das ich mir habe setzen können. Aber weil ich den Mount Everest ein paar Jahre zuvor bestiegen hatte, der bekanntlich einer der drei Pole der Welt bedeutet, der höchste, schien es mir logisch, den zweiten von drei Polen auch zu erreichen, der südlichste.
Der Nordpol, der dritte der drei Pole, würde näher liegen. Aber dieser war «besetzt». Der Schweizer Thomas Ulrich hatte ihn zu seinem Ziel erkoren, von Russland über den Nordpol nach Kanada, was ihm dann misslang, aber er nächstes Jahr zu wiederholen versucht. Mit Thomas, mit dem ich in sehr jungen Jahren zusammenarbeitete, wir waren im Logging tätig, das heisst, wir gehörten zur Ground-Staff eines Helikopterunternehmens und räumten Bäume aus den Bergwäldern, die vom verheerenden Sturm mit dem zarten Namen «Viviane», wie aus einer Schachtel wild zu Boden gefallene Spagetti zu abertausenden übereinandergeworfen wurden, mit Thomas also, mit dem ich diese Risikoarbeit geleistet hatte, ist es besser, nicht in Konkurrenz zu treten. Thomas ist direkt, das schätze ich sehr an ihm, aber er ist sehr verbissen, was seine Ziele anbelangt und verteidigt diese wie ein Grizzli-Bär in der Paarungszeit seine Bärinnen. Als Thomas von meinem ursprünglichen Plan, zum Nordpol zu gehen, hörte, war es aus mit der alten Freundschaft. Und weil der Nordpol im Gegensatz zum Südpol nur gefrorenes Meereis ist, welches einzuschätzen ich damals noch nicht gelernt hatte, richtete ich meinen Fokus neu auf den Südpol, der aus bis zu 4600 Meter dickem, vergletschertem Eis, «Festland» bedeutet. Gletscherspalten «lesen» fällt mir, mit meiner über zwei Jahrzehnte langer Berufserfahrung als Bergführerin, leicht.
Diese Idee, aus eigener Muskelkraft zum Südpol zu gelangen, wurde ein Teil von mir und dominierte fortan mein Denken, mein Handeln, meinen Alltag.
Als ich nach der langen Vorbereitungsphase endlich am 1. September 2006 vor meiner Haustür mit dem Fahrrad startete, wusste ich trotzdem nur mit Sicherheit, dass diese Reiseexpedition, mit über 25‘000 Kilometern auf dem Fahrrad und 1200 Kilometern zu Fuss mit Ski und Schlitten bei minus 40°C in der Antarktis, der reine Wahnsinn bedeuten könnte. Dass es tatsächlich so war, nicht erst wegen der totalen Erschöpfung bei der Ankunft am Südpol nach 484 Tagen, sondern schon vorher, wegen der permanenten Gefahr durch den Menschen in Staaten wie Mexiko, Zentralamerika und Peru, darüber handelt mein Buch.
Der Südpol war ein Lebensziel, wurde aber zum Überlebensziel.